Mittwoch, 28. September 2011

Zarlenga - Der Mythos vom Geld - Kapitel 1 - 4, Auszüge


Auf der Seite wurden reichlich besonders aufschlussreiche Zitate aus dem Buch über "Das verlorene Wissen über das Geld" von

Stephen Zarlenga - "Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht"

engl. "The Lost Science of Money: The Mythology of Money, The Story of Power"

gesammelt, um den Leser einen Blick auf die Gedankenwelt der Geldforscher zu gewähren und sie zur Lektüre des Buches anzuregen, zu erwerben z.B. bei Buch.de.  Kaum ein anderes Buch über das Geld ist so geldwert wie dieses.

Die Struktur des Buches, die Kapitel und Seitennumerierung wurden beibehalten. Das erleichtert dem Leser die volle Aussage des Autor in dem Buch wiederfinden. Ein Zitat kann nur dann richtig versanden werden, wenn der Kontext, die Einführung auch bekannt ist.




Kapitel 1 - 4
Kapitel 5 - 8
Kapitel 9 - 11
Kapitel 12 - 20
Kapitel 21 - 22



Zitaten
aus den Kapitel Einführung-4






EINFÜHRUNG                                                                             13


Einführung


Die Historiker werden nur dann wertvolle Dienste leisten,
wenn sie die Kernfrage der Geschichte beantworten können:
Was ist Macht?
Leo Tolstoi


Das Bedürfnis nach Wissen über monetäre Zusammenhänge wächst

Kurz vor Anbruch des dritten nachchristlichen Jahrtausends führen
uns mehrere weltumspannende Entwicklungen die Notwendigkeit
vor Augen, unseren Blick für monetäre Begriffe zu schärfen.

Die enorme Bedeutung monetärer Macht

Die Macht in einer Gesellschaft wird überwiegend von ihrem
Geld- und Bankensystem ausgeübt. Während die Wahlen von Ministerpräsidenten
und Volksvertretern im Mittelpunkt des öffentlichen



14                                 Die enorme Bedeutung monetärer Macht



In diesem Buch wird die These aufgestellt, daß die Ausübung der
monetären Macht das Hauptmotiv gesellschaftlicher Auseinandersetzungen
ist und daß diese Macht durch undurchsichtige oder gar
falsche Theorien über das Wesen des Geldes ausgeübt wird.


EINFÜHRUNG                                                                15



Das Haupthindernis: die Mystifizierung des Geldes

Gerade weil monetäre Systeme sich so hervorragend zur Ausübung
von Macht eignen, schützen diejenigen, die diese Systeme beherrschen,
in der Regel ihre daraus resultierenden Privilegien durch Verhüllung
und Verfälschung monetärer Begriffe. Durch diese Tatsache
wird das Verständnis von Geld erheblich erschwert.


Die Geschichte des Geldes ist unbekannt

So schrieb vor etwa einem Jahrhundert der berühmte Geldhistoriker
Alexander Del Mar: »Politische Ökonomen machen sich in der Regel
nicht die Mühe, die Geschichte des Geldes zu erforschen, ist es doch
viel einfacher, sie sich vorzustellen und dann aus diesem imaginären
Wissen Prinzipien abzuleiten.« 1

Diese abwertende Haltung der empirischen Forschung gegenüber
prägt auch das einflußreiche Standardwerk der Wiener Schule, Ludwig
von Mises Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel (1912)...


16                                 Die Geschichte des Geldes ist unbekannt


Das Wissen über die Geschichte des Geldes ist von entscheidender
Bedeutung, da die Auswirkungen eines monetären Systems manchmal
erst nach Generationen sichtbar werden.


Monetäres Denken wurde zensiert

Die Suche nach den Ursprüngen des Geldes wird weiter dadurch erschwert,
daß die Geschichte des Geldes stark zensiert wurde.


Monetäre Daten werden oft falsch interpretiert


EINFÜHRUNG                                                                             17


Ökonomen gehen oft noch einen Schritt weiter: Widersprechen
die aufgezeichneten Fakten ihren bevorzugten Theorien,
bestreiten sie diese nicht selten mit Äußerungen wie der folgenden:
»Wir wissen, daß dies nicht richtig sein kann.«


Das Ziel dieses Buches

Ziel dieses Buches ist es, einen kleinen Beitrag zur Klarstellung der
monetären Begriffe zu leisten ...

Meine Aufgabe ist es,
Ihnen zu zeigen, daß die Geschichte des Geldes weder trocken noch
langweilig ist, denn sie ist die Geschichte der Macht!


                                        1   URSPRÜNGE DES GELDWESENS  19



1. Kapitel          Die Ursprünge des Geldwesens

Es muß also ein Eines geben, welches das gemeinsame
Maß vorstellt, und zwar kraft positiver Übereinkunft vorstellt,
weshalb es auch Nomisma heißt, gleichsam ein vom Gesetz, Nomos,
aufgestelltes Wertmaß.
Aristoteles


Der Kampf um die Ausübung der monetären Macht in
einer Gesellschaft wird auf vielen Ebenen ausgetragen, ...

Die Entstehung des Geldes wird im wesentlichen auf
drei verschiedene Ursprünge zurückgeführt: auf einen religiösen Ursprung,
auf einen gesellschaftlichen oder staatlichen Ursprung und
auf einen wirtschaftlichen oder durch den Warenhandel bedingten
Ursprung. Die meisten Ökonomen vertreten die letztgenannte Auffassung.
Diese Theorie spiegelt den heute weit verbreiteten Wunsch
wider, Regierungen von der Übernahme einer geeigneten monetären
Rolle abzuhalten.


Der Ursprung des Geldes im Warenhandel

Dieser Theorie zufolge wurden in einer prämonetären Gesellschaft
Waren direkt getauscht. Das Bedürfnis nach Geld entstand, weil die
zu tauschenden Waren nicht immer denselben Wert hatten und weil
Händler die Waren, die jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt angeboten
wurden, nicht immer erwerben wollten.


20   Der Ursprung des Geldes im Warenhandel


Die andauernde Verwendung dieses Guts verstärkte seine Rolle
beim Warenaustausch, so daß es schließlich als allgemeines »Geldgut
« akzeptiert wurde. Händler nahmen es bereitwillig an, da sie
wußten, daß sie es zu einem späteren Zeitpunkt leichter gegen gewünschte
Waren eintauschen konnten. Darüber hinaus war das Geldgut
aufgrund seiner physischen Eigenschaften ein praktisches Wert oder
Rechenmaß und zumindest zeitweilig ein Wertspeicher.*

-------------------------------
* Diese Herkunftstheorie wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts von John Law in seinem
Buch Money and trade considered with a proposal for supplying the nation with money
(1705, deutsch 1720: Herrn Laws Gedanken vom Waren- und Geldhandel) aufgestellt.
Law wurde von vielen beschuldigt, in den frühen 20er Jahren des 18. Jahrhunderts das
französische Finanzsystem ruiniert zu haben. Carl Menger, der Begründer der Wiener
Schule der Nationalökonomie, ließ später Laws Theorien in seinem Hauptwerk
Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (1871) wiederaufleben.



1  DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS                                                 21



Der Ursprung des Geldes in der Gesellschaft

Quiggin ...
Sie kommt deshalb zum Schluß,
daß die einem Geldersatz am nächsten kommenden Gegenstände
ihre Funktion vermutlich durch ihre Verwendung bei innergemeinschaftlichen
Zeremonien erhalten haben und nicht beim Tauschhandel. 2
Nach diesen anthropologischen Untersuchungen wurde Geld
hauptsächlich als standardisiertes Brautgeld oder als Blutgeld bei Verletzungs-
und Todesfällen verwendet.


Der Ursprung des Geldes in der Religion

Zu den Vertretern einer religiösen Herkunftstheorie zählen Paul Einzig
und Bernard Laum  ... sind religiöse
Zwänge an der Entstehung des Geldes wahrscheinlich stärker beteiligt
als wirtschaftliche Erfordernisse. Die Entwicklung des Wirtschaftssystems
im allgemeinen war stark von religiösen Faktoren
beeinflußt. 3


22                                        Der Ursprung des Geldes in der Religion


... Ursprung des Geldes im religiösen Kult
als vorgeschriebener Opfergabe an Götter und als Bezahlung an Priester.
»Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Das älteste Recht
ist das Recht der Götter. Folglich ist auch das durch den sakralen Nomos
geschaffene Geld ein Geschöpf der Rechtsordnung. Die Normen
des sakralen Geldes sind in das profane Recht übernommen. Die Geschichte
des Geldes ist letzten Endes die Geschichte der Säkularisation
der kultlichen Formen.« 4
...
Am weitesten verbreitet waren Ochsen und Kühe.Von
Irland bis zum Mittelmeer, sogar bis Afrika wurde Vieh als Geld verwendet.
Außerdem hatte Vieh offenbar einen ziemlich stabilen Wert:
Sowohl im antiken Irland als auch im Griechenland zur Zeit von
Homer betrug der Tauschwert einer Sklavenfrau drei bis vier Kühe. 5

Etwa zwischen 1500 und 1000 v. Chr. gingen die Geldsysteme der
Gesellschaften im östlichen Mittelmeerraum langsam, aber ohne
Zwischenstufen vom Viehstandard auf den Goldgewichtstandard
über. Dabei spielten offenbar östliche Tempel eine wichtige Rolle.


1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS 23


Die monetäre Rolle der Tempelkulte

... waren die Tempel von Re, Ptah und Ammon um das
2. Jahrtausend v. Chr. mächtige Organisationen geworden.
...
Tempel nahmen scheckähnliche Überweisungen von Getreide
zwischen Deponenten vor, sogar an Zweigstellen in anderen Städten.
So entwickelte sich mit großer Wahrscheinlichkeit Getreide zu einem
Geldmittel.

... fand man
dennoch nie eine pharaonische Münze. In großer Zahl fand man
hingegen Glas- und Porzellanskarabäen, was manche Geldhistoriker
zu der Vermutung veranlaßt hat, daß Skarabäen ein frühes Geldsystem
darstellten. 7


24                                    Der Ursprung des Geldes in der Religion


... Ridgeway meint deshalb, es lasse sich mit
einiger Wahrscheinlichkeit die These aufstellen, daß die Kunst der
Münzprägung im Heiligtum einer Gottheit ihren Anfang genommen
habe. 8
...
Nach Andreas Andreades waren die panhellenischen Kultstätten
von Athen und Olympia bzw. von Delphi und Ephesus die einzigen
»großen Kapitalisten«. 10  Die Finanzverwaltungen der Tempel fungierten
zuweilen als Banken, denn sie gewährten nicht nur ihr eigenes
Geld als Darlehen, sondern auch das Geld, das ihnen zur sicheren
Verwahrung anvertraut wurde.


Gold wird zum Zahlungsmittel

Für die Völker der Antike war Gold das am einfachsten zu gewinnende
Metall. ... Ein weiteres,
allerdings in der Gewinnung aufwendigeres Metall war Kupfer. An
dritter Stelle stand Silber, dessen Förderung sehr komplizierte technische
Verfahren erforderte.


1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS                           25


Gold, ehemals zur Verzierung verwendet, diente vermutlich schon
sehr früh – zusammen mit landwirtschaftlichen und tierischen Erzeugnissen
– als Abgabe an die Tempel..
...
Dies bestätigen die riesigen Mengen an Gold und Silber, die Alexander
der Große in den Tempeln der altorientalischen Städte Susa,
Ekbatana und Persepolis erbeutete und deren Wert auf 740 000
Talente geschätzt wird, einschließlich 2200 Tonnen Silber im Wert
von 180 000 Talenten. 11

Die Größe dieser Schätze deutet darauf hin, daß sie nicht aus wirtschaftlichen
Gründen angehäuft worden waren, denn sie konnten im
Handel nie wirklich verwendet werden. 12
...
Allein der Überfluß an Gold, das nach Jahrhunderten erfolgreicher
Anhäufung in den Tempeln lagerte, war ein Grund dafür, es zu Geld
zu machen.
...
schon eine
kleine Menge Goldes konnte erheblichen Reichtum symbolisieren
...
Die Tempel besaßen eine so große Menge Gold, daß sie die Kontrolle
über es ausüben konnten.


26                                         Gold wird zum Zahlungsmittel


Was bestimmt den Goldwert?

... Doch was bestimmt den Wert
einer Gold- oder Silbermünze, die zu nichts zu gebrauchen ist?
...
Die Betrachtung der Festlegung anderer
Werte, zum Beispiel des Verhältnisses von Gold zu Silber, zeigt jedoch,
daß dieser bedeutende Beschluß wohl viel willkürlicher erfolgte.

Wahrscheinlich sollte dieser politische Beschluß dazu dienen, die
Macht der Beschlußfasser, also der Priester der großen Tempelkulte,
auszuweiten. Die entscheidende Frage ist deshalb nicht, was Gold seinen
Wert verlieh, sondern wer ihm seinen Wert verlieh.
...
Zu Homers Zeiten, kurz vor der breiten Einführung von
Münzgeld, wurde das Wertverhältnis zwischen Goldbarren und Rindern
wie folgt angegeben: Eine Kuh oder ein Ochse entsprach einer
Goldmenge von 130 Gran*. Dabei entsprach jedes Gran dem Gewicht
eines Weizenkorns. 130 Gran wiegen etwa 8 Gramm.

Diese institutionell festgelegte Konvention oder Norm war offenbar
im Mittelmeerraum mehrere Jahrhunderte lang in Kraft.

--------------------------------------------------------------------
* Vom lateinischen granum = Korn. (A. d. Ü.)



1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS                             27


Gold ist eines der ersten autonomen Geldmittel

Gold besitzt darüber hinaus auch einen Warenwert, der allerdings
häufig mit seinem Geldwert verwechselt wird. So geht man im allgemeinen
davon aus, daß Gold »an sich« einen bestimmten Wert habe.
Damit bezeichnet man jedoch lediglich seinen Warenwert. Etwas anderes
ist sein (höherer) Geldwert, also der Gegenwert des Goldes in
Geld.


Die monetäre Kontrolle des Orients

Durch die starke Unterstützung der orientalischen Tempel verdrängte
Gold allmählich das Rind als Zahlungsmittel und nahm einen
Geldwert an. ... in der Geschichte des Westens
immer wiederkehrendes Phänomen: Komplexe monetäre Entwicklungen
und Kontrollmechanismen breiteten sich in der Regel von Ost
nach West aus.

In dieser Phase machte der Orient dem Westen auch »Geschenke«
aus Gold. ... Diese Spenden brachten östlichen Einfluß mit
sich. Während die Perser in Griechenland einmarschierten und die



28                                                     Gold wird zum Zahlungsmittel


berühmten Schlachten von Thermopylen, Artemision und Salamis
geschlagen wurden, arbeiteten die Priester von Delphi quasi Hand in
Hand mit Persien 14


Die griechischen Stadtstaaten führen die Münzprägung ein

Wann genau die Münzprägung eingeführt wurde, ist immer noch
umstritten. Chinas ältestes Schriftstück, der Shu-ching, datiert den
Beginn der Münzprägung auf das Jahr 1766 v. Chr. Einer anderen
Quelle, dem Shu-chi (163-85 v. Chr.) zufolge wurden die ersten Münzen
jedoch schon im dritten Jahrtausend v. Chr. unter den Herrschern
Shun und Yu geprägt.

Im Westen berichtet Plutarch in seinem Werk Bioi paralleloi, daß
Theseus um 1260 v. Chr. in Athen Münzen mit Ochsenkopfbildern
ausgab. Aufgrund entsprechender Münzfunde vermuten Numismatiker
hingegen, daß die ersten Münzen um 700 v. Chr. in Lydien an
der Westküste der heutigen Türkei geprägt wurden.

... Amyntas' II. von Makedonien (393-
369 v. Chr.), des Großvaters Alexanders des Großen, gab es beidseitig
geprägte Münzen. Die englische Bezeichnung »coin« stammt vom
altfranzösischen Wort coigne (= Eckstück oder Keil) ab, das sich wiederum
vom lateinischen cuneus, dem Begriff für den bei der Münzprägung
verwendeten Stempel oder Keil, ableitet.*

---------------------------------------------------------------
* Die deutsche Bezeichnung »Münze« ist ein Lehnwort, das vom lateinischen moneta
(= Münzstätte; Münze) herrührt. (A. d. 0.)



1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS                                 29


Das Münzwesen in den griechischen Städten war ein Staatsmonopol.
Der Gebrauch der lokalen Münzen im jeweiligen Stadtgebiet war
obligatorisch. 15 
...
Für eine private Münzausgabe durch Bankkaufleute
oder Händler gibt es in der griechischen Welt keine Hinweise. 16 
...
So schlossen sich um 418 v. Chr. während des Peloponnesischen
Krieges die Schatzverwalter der zehn wichtigsten Tempel zu einem
Gremium zusammen, das sich selbst den Namen »Die Schatzverwalter
der Götter« gab. Solche Zusammenschlüsse konnten eine Stadt
durch Abzug oder Zufluß von Gold oder Silber in finanzielle Schwierigkeiten
bringen.


30                     Die griechischen Stadtstaaten führen die Münzprägung ein


Die »gewissenhafte« Fortführung des 13o-Gran-Standards

Die griechischen Stadtstaaten setzten den 130-Gran-Standard unter
dem neuen Münzwesen fort.  17


Indischer Dharana (600-500 v. Chr.)
Krösus' Goldstater (ca. 550 v. Chr.)
Darius' persischer Dareik (ca. 505 v. Chr.) (Abb. 4)
Goldmünze von Rhodos (frühes 4. Jh. v. Chr.)
Goldmünze von Athen (ca. 400 v. Chr.)
Philipps II. makedonischer Stater (ca. 345 v. Chr.)
Babylonische und phönizische Münzen
130 Gran
128 Gran
130 Gran
130-135 Gran
130 Gran
130 Gran
260 Gran*



Einige dieser Münzen entsprechen dem sogenannten attischen Standard, ...18

Probleme mit dem »immanenten« Münzwesen

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* Eine Verdopplung der 130-Gran-Konvention, die möglicherweise zeigte, daß ein Ochsengespann bzw. -paar in dieser Gegend üblich war.



                                      1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS  31


Lykurgs numerisches System in Sparta

In seinen Bioi paralleloi (100 v. Chr.) dokumentiert Plutarch,...
 Lykurg, der dem Königshaus von Sparta entstammte,
der Regierung bemächtigte und eine Verfassung nach kretischem
Modell in Kraft setzte, die zu den langlebigsten der griechischen Welt
gehören sollte.
...
 Als neues Geldmittel wurde eine bestimmte Anzahl
länglicher Eisenscheiben gesetzlich vorgeschrieben. Um die Eisenscheiben
spröde und somit für jede andere Verwendung unbrauchbar
zu machen, wurden sie in erhitztem Zustand in Essig getaucht.
Dadurch wurde der »immanente« Wert der Münzen gezielt zerstört.
Jede Eisenscheibe wog etwas mehr als 500 Gramm und wurde als
Pelanor bezeichnet.

Lykurgs Geldsystem basierte auf einer gesetzlichen Grundlage,...

Das System wurde um 415 v. Chr. abgeschafft, ...


32   Lykurgs numerisches System in Sparta


... Die einzige Besonderheit von Spartas
Geldwesen habe darin bestanden, daß anstelle von anderen Metallen
Eisen verwendet wurde  20
...
Im Laufe der Zeit übernahmen andere griechische Stadtstaaten das
Geldsystem Spartas. In Byzantion etwa, bevor es in Konstantinopel
umbenannt wurde, war Eisengeld im Jahre 431 v. Chr. unter der Bezeichnung
Nummus Spartaeus in Gebrauch. Karthago, Syrakus und
insbesondere Rom übernahmen das numerische Geldsystem ebenfalls.


Solons Reform

Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit der Münzgeldeinführung
in den griechischen Stadtstaaten aufgetreten war, führte um
600 v. Chr. zu Solons Geldreform in Athen. Der Stand freier Kleinbauern
verschwand allmählich, da das Land immer mehr in die
Hände der Oligarchie fiel. ...


                                          1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS  33


... Wenn er aber in einem ertragsreichen Jahr das
Darlehen zurückzahlen wollte, waren Rohstoffe billig und Geld dagegen
teuer. 21

Wenn er dann nicht nur die Schulden nicht zurückbezahlen
konnte, ... , wurden die Bauern mit Hypothekenschulden für
ihr Land belastet und mußten ihre Arbeiter sogar der Versklavung
preisgeben.

Diese Schuldknechtschaft nahm immer dramatischere Ausmaße
an, bis Solon mit seiner seisachtheia – dem »Abschütteln« der Lasten –
zur Rettung Athens schritt.....
Die Versklavung von Menschen als Sicherheit für Schulden war
von jetzt an verboten. Der Rest der Reform wurde »aus den histori -
schen Aufzeichnungen herauszensiert« und ist vorwiegend in Solons
Gedichten dokumentiert. 22  Solon hob bestehende Schuldverträge auf
und gab gepfändetes Land zurück. Er stellte die Währung vom »äginischen«
auf den leichteren »attischen« Standard um, indem er das
Münzgewicht um etwa drei Siebtel verringerte, und erhöhte Aristoteles
zufolge die zirkulierende Münzgeldmenge.
...


34   Aristoteles' »Nomisma«


Aristoteles' »Nomisma«

In Griechenland wurde das Geld unter der Bezeichnung »Nomisma«
bekannt, da es seine Berechtigung durch ein Gesetz, auf griechisch
»nomos«, erlangte. In der Zeit um 330 v. Chr. verkörperten die Schriften
von Aristoteles den Höhepunkt dessen, was das alte Griechenland
auf dem Gebiet des monetären Denkens und Experimentierens hervorbrachte:
»So muß denn für alles ein Eines als Maß bestehen, ...
Dieses Eine ist in Wahrheit das Bedürfnis, das alles zusammenhält. ...
Nun ist aber kraft Übereinkunft das Geld gleichsam Stellvertreter des
Bedürfnisses geworden, und darum trägt es den Namen Nomisma
(Geld), weil es seinen Wert nicht von Natur hat, sondern durch den
Nomos, das Gesetz, und weil es bei uns steht, es zu verändern und
außer Umlauf zu setzen.«  23

Weiter heißt es: »Freilich geht es mit dem Geld wie mit anderen
Dingen; es behält nicht immer genau seinen Wert. Jedoch ist derselbe
naturgemäß mehr den Schwankungen entzogen. ... Das Geld macht
also wie ein Maß alle Dinge kommensurabel und stellt dadurch eine
Gleichheit unter ihnen her. ... In Wahrheit können freilich Dinge, die
so sehr voneinander verschieden sind, nicht kommensurabel sein, für
das Bedürfnis aber ist es ganz gut möglich. Es muß also ein Eines geben,
welches das gemeinsame Maß vorstellt, und zwar kraft positiver
Übereinkunft vorstellt, weshalb es auch Nomisma heisst, gleichsam
ein vom Gesetz, Nomos, aufgestelltes Wertmaß.«  24


Platon bestätigt Aristoteles' Geldtheorie

... herrschte zwischen Platon und Aristoteles große
Übereinstimmung in ihrer Auffassung vomWesen des Geldes.
In den Sokratischen Dialogen über den Reichtum schreibt Platon:
»Das Geld der Karthager sah so aus: Ein Gegenstand von der Größe
einer Tetradrachme wurde in ein kleines Lederstück eingeschnürt.
Woraus der Gegenstand besteht, wissen nur seine Hersteller. Als



      

                                            1 DIE URSPRÜNGE DES GELDWESENS 35


nächstes wurde das Lederbündel mit einem staatlichen Siegel versehen
und in Umlauf gebracht.«  25

Platon berichtet außerdem, daß in Äthiopien eingravierte Steine
als Geld benutzt wurden, und er bestätigt, daß Spartas Geldsystem
aus Eisengeld bestand, das »wertlos gemacht wurde«. Für seine »Republik
« favorisierte Platon ein autonomes Geldsystem. ...  Ein
ideales Geldsystem stellte sich Platon folgendermaßen vor: »An dieses
alles knüpft sich außerdem ein Gesetz, welches keinem Nichtbeamten
es gestattet, irgend Gold und Silber zu besitzen, wohl aber
die Landesmünze des täglichen Umsatzes wegen, den zu betreiben für
Handwerker fast unumgänglich ist .... Aus diesen Gründen müssen sie, behaupten
wir, die Landesmünze sich erwerben, welche für sie Geltung hat,
für andere Menschen aber wertlos ist; ...«  26

Sowohl Aristoteles als auch Plato erkannten den wichtigsten monetären
Grundsatz: Geld ist seinem Wesen nach keine Ware, sondern
eine Schöpfung des Gesetzes, eine Erfindung oder Erschaffung des
Menschen und der Gesellschaft.



                                    2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   37


2. Kapitel  Roms Bronzegeld: besser als Gold

»Indem Rom eine nationale Währung ausschließlich in Kupfer
einführte, löste es eine Revolution in den Geldsystemen aller
zivilisierten Nationen aus.«

Noel Henry Humphreys1

Roms Bronzegeld

Als Lykurg in Sparta den Eisen-Nomisma einführte, entstand im
westlichen Rom eine neue Kultur, die den Mittelmeerraum sowohl in
militärischer als auch in monetärer Hinsicht beherrschen sollte.
...
Die Entwicklung Roms von einem winzigen Dorf im 8. Jahrhundert
v. Chr. zum Begründer und Beherrscher der Weltordnung ist teilweise
auf sein Bronzegeld zurückzuführen.*  Während im Osten Geld
aus Gold und Silber geprägt wurde, zog Rom als Grundstoff Bronze
vor, eine hauptsächlich aus Kupfer, etwas Zinn und etwas Blei bestehende
Legierung. ...
Da ein Großteil der Edelmetalle in östlichen
Tempeln gehortet wurde, war es einfacher, Kupfer zu beschaffen.

-----------------------------------------------------------------
* Die Darstellung von nahezu zweitausend Jahren römischer Geldgeschichte auf wenigen
Seiten macht vorab eine Entschuldigung des Verfassers bei Numismatikern und
Historikern notwendig. Zu den meisten Verallgemeinerungen wird es auch Ausnahmen
geben. Hunderte von Jahren sind seitdem vergangen; Dokumente sind rar. Sollte es in
diesem Werk versäumt worden sein, die neueste Forschung auf Gebieten mit besonderer
Bedeutung für die hierin behandelten Themen zu erwähnen, so soll dies, nach
Inkenntnissetzung des Verfassers, in zukünftigen Ausgaben berücksichtigt werden.





38   Roms Bronzegeld


Roms monetäre Isolation

Die Entscheidung von Numa Pompilius (716-672 v. Chr.), dem zweiten
König von Rom, statt Gold oder Silber Bronze zu verwenden,
hatte weitreichende Konsequenzen. Sie führte zu einer Wertminderung
von Gold und Silber und somit auch zu einer Machtminderung
der östlichen Tempel und Kaufleute, die ihr Gold und Silber natürlich
nach wie vor in Rom als Ware verkaufen konnten. ...
die Chancen Roms, sein Schicksal selbst bestimmen zu können,
wuchsen.*
...
Indem Rom eine
nationale Währung ausschließlich in Kupfer einführte, löste es eine
Revolution in den Geldsystemen aller zivilisierten Nationen aus,
denn im Verlauf der römischen Eroberungszüge wurden die Gold und
Silberwährungen anderer Länder immer mehr vom römischen
Kupfergeld mit römischen Gewichten und Maßen verdrängt – und
dies mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. ...


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* Als über 2000 Jahre später die Vereinigten Staaten von Amerika zur größten Weltmacht
aufstiegen, hatten sie diesen Vorteil monetärer Unabhängigkeit nicht. Dennoch etablierten
sich während der beiden großen Krisen Amerikas – der Unabhängigkeitskrieg
und der Sezessionskrieg – mit der continental currency und den greenbacks zeitweise zwei
von der alten Weltmacht völlig unabhängige Geldsysteme. Und obwohl beide unabhängigen
Währungen heftig kritisiert wurden, halfen sie Amerika durch die Krisen
hindurch und leisteten wertvolle Dienste.




                                     2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   39


... Plinius erwähnt Gesetze aus dem 4. und dem 3. Jahrhundert
v. Chr., welche die Förderung von Edelmetallen in Italien untersagten.
Rom versuchte, die Edelmetallgewinnung weitgehend zu verhindern.


Der römische Nomisma

... Bronzegeld gab es in mehreren Erscheinungsformen: zuerst
als Metallstück (aes rude), danach als gegossenes und später als geschlagenes
Bronzegeld (aes grave). Mit der Zeit entwickelte es sich zu
einem abstrakten numerischen Geld, d. h., der Wert begrenzter
Münzgeldausgaben lag weit über ihrem Materialwert.

König Servius Tullius (578-534 v. Chr.), ... führte Maße, Gewichte und die Prägung von Münzen mit Bildnissen
von Tieren und dem doppelgesichtigen Gott Janus ein. Diese
frühen Münzen waren oft mit der Ziffer 1 gestempelt ...



40   Roms Bronzegeld


... Mit der Einführung des aes
signatum unter Tullius wurde Bronze, das bereits eine monetäre
Funktion erfüllte, zum gesetzlichen Zahlungsmittel in Rom. 5

... In
einem römischen Gesetz von 454 v. Chr. wurden allgemeinverständliche
Kriterien für die Münzbewertung festgelegt. Ein Nomisma betrug
21/2 Asse. Jedes As wog 12 Unzen Rohbronze. 1 Schaf war nach
dem Gesetz 10 Asse, 1 Ochse 100 Asse wert.* ...


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* Durch diese Festsetzung wurden Tiere per Gesetz zum Zahlungsmittel erklärt. So
brauchte man diese nicht mehr zu verkaufen, sondern konnte sie direkt als Geldbuße
entrichten. Dadurch entstanden bestimmte Mindestpreise für die Tiere. Das Gesetz
läßt den Schluß zu, daß die Nomisma-Ausgaben relativ begrenzt waren.


                                       2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   41


... Mit dem Bronzegeld entwickelte Rom ein Rechtssystem,
das überall in der Welt Beachtung fand und noch heute, 2300
Jahre später, als Vorbild dient. Dieses Rechtssystem war in einem in der
Antike bis dahin ungekannten Umfang von der Religion getrennt.


Der Niedergang des römischen Geldsystems

... Als das System zerfiel, verlor Rom
seine Freiheiten. Zwar sollte der Staat noch mächtiger und gefürchteter
werden, aber er war nicht mehr eins mit seinem Volk. 7

Für Roms monetären Verfall zeichnet Del Mar das folgende Szenario:
... genehmigte Rom den Patriziern im Jahre 269 v. Chr. die
Ausgabe von privaten Silbermünzen.*... Das erbeutete Silber brachte den
Patriziern also einen Gewinn von 500%.
..
Die Patrizier benutzten die Überbewertung, um die römische Gesellschaft
von innen heraus zu plündern, indem sie den Staat Münzen
prägen ließen. ...

-----------------------------------------------------------------
* Die lateinische Bezeichnung für Geld, »moneta«, hat ihren Ursprung in der Münzprägung
dieser Zeit, denn die römische Münzstätte befand sich im Tempel der Göttin
Juno, mit Beinamen Moneta, was ursprünglich »Mahnerin« bedeutete
. Aus »moneta« entstanden auch in anderen Sprachen zahlreiche Geldbegriffe, etwa das englische »money«, das französische »monnaie«, die deutsche »Münze«, aber auch die umgangssprachlichen
»Moneten«. (A. d. 0.)



42   Der Niedergang des römischen Geldsystems

... Am Ende gab es ungefähr 160
lizensierte Denarii-Ausgaben, die manchmal als gentes bezeichnet
wurden. Diese wurden im Jahre 207 v. Chr. zum gesetzlichen Zahlungsmittel
erklärt und begründeten damit den römischen Silberstandard.
...
Diese Entwicklung verdeutlicht den wesentlichen monetären
Grundsatz, demzufolge die Kontrolle über die Ausweitung eines beliebigen
Teils der gesellschaftlichen Geldversorgung in die Kontrolle
über die Ausweitung der gesamten Geldversorgung übergeht.

Das Geldsystem der Patrizier veranschaulicht auch die Hauptgefahr
eines nominellen Geldsystems: ...
wird eine korrupte Elite stets versuchen, sich diesen Mechanismus
zur Ausbeutung der Gesellschaft zu eigen zu machen.


Roms monetäre Isolation endet


                            2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   43


... Schlimmer noch:
Da die Edelmetalle im Osten gehortet wurden, gewann der Osten
wieder an Macht über Rom.
...
Das patrizische Münzwesen löste darüber hinaus auch Kämpfe
zwischen den Ständen aus. Soziale Reibereien waren unvermeidlich,
da sich diejenigen, die das Vorrecht der Denariusprägung besaßen, zu
Unrecht selber bereicherten und gleichzeitig alle anderen Menschen
benachteiligten. Einmal konzentriert, ließ sich dieser Reichtum leicht
durch Wucher vergrößern....


Das römische Silbergeld wird immer noch mißverstanden


44   Der Niedergang des römischen Geldsystems



Die Einführung von Goldmünzen

Im Jahre 207 v. Chr. wurde in Rom eine 157-Gran-Goldmünze geprägt,
die den Historiker Plinius den Älteren zu folgender Bemerkung
veranlaßte: »Das nächste Verbrechen gegen das Wohlergehen
der Menschheit wurde von dem verübt, der als erster einen Denarius
aus Gold prägte....« 9


Östliche Kulte infiltrieren Rom

...
Prophezeiung aus den Sibyllinischen Büchern verführen ließen:
»...Danach sollte der fremde Eroberer aus Italien vertrieben
werden, wenn die große orientalische Göttin nach Rom gebracht
wurde.... Europa sich noch einst
den Göttern des Orients ergeben würde, wenngleich es seine Waffen
zurückgeschlagen hatte....« 10 Diese als kultischer »Erfolg«



                        2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   45


gefeierte Befreiung Roms von Hannibal öffnete einer Reihe östlicher
Kulte Tür und Tor.

... Mit
dem Einzug der östlichen Kulte veränderten sich nun auch Geist und
Gepflogenheiten Roms.

Durch die Verbindung monetärer und religiöser östlicher Einflüsse
mit Klassenkämpfen wurden die römischen Institutionen stark unter
Druck gesetzt. ...

Um das Jahr 70 v. Chr. herrschte im römischen Geldsystem ein
heilloses Durcheinander. Dazu Cicero: »Die Währung war derartigen
Schwankungen ausgesetzt, daß niemand wußte, was er besaß.«

Mit dem monetären Chaos ging eine schwere Schuldenkrise einher.
Ein Gesetz mit dem Namen lex valeria machte reinen Tisch, indem
es auf die Schuldenabzahlung 75% Rabatt gewährte. Doch der
Reichtum blieb weiterhin in wenigen Händen konzentriert.


Übernahme durch die Cäsaren

... Julius Cäsar ... Mit 36 Jahren
wurde er pontifex maximus, also oberster Priester Roms. ...





46   Übernahme durch die Cäsaren


Cäsar kam nicht als bloßer Diktator, sondern als Gott nach Rom
zurück – und er meinte es auch so. ... Die Trennung von sakralem und säkularem Bereich, einer der wichtigsten Beiträge Roms zur Entwicklung
der Menschheit, war damit beendet. Die Kontrolle über das
Geldsystem wurde dem religiösen Amt des Pontifex maximus übertragen.
...

Die Zerstörung des römischen Ethos

Die bereits von den östlichen Kulten geschwächte römische Moral zerbrach
schließlich an den Bürgerkriegen. Appians Darstellung zeigt,
...: »Ein alter
etruskischer Weiser wurde nach Rom gebracht, um die unglaublichen
Zeichen zu deuten .... Er sagte,
daß die königliche Herrschaft aus vergangenen Zeiten wieder zurückkehre
und daß alle außer ihm selbst Sklaven würden. Daraufhin verstummte
er und hielt den Atem an, bis er tot war.«



                        2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   47


Viele berühmte Personen und Familien wurden in den kommenden
Umwälzungen grausam ermordet, unter ihnen auch Cicero. ... veranlaßten Appian zu
folgender Bemerkung: »Diese Dinge ereigneten sich nicht in einer gewöhnlichen
Stadt oder in einem schwachen und unbedeutenden Königreich,
sondern eine böse Gottheit erschütterte die mächtigste Herrin
so vieler Nationen.«

Offenbar war es nicht das frühe Christentum, das Rom zugrunde
richtete, sondern eine viel ältere Religion. Rom wurde nicht von unten
nach oben vernichtet, sondern die Krankheit breitete sich wie in
Amerika im 20. Jahrhundert von Osten nach oben und dann nach
unten aus.

Eine zentrale Stelle von James Frazers Goldenem Zweig ist seine
Analyse der Zerstörung der römischen Sozialstruktur durch die östlichen
Kulte: »Die Religion der Großen Mutter mit ihrem seltsamen
Gemisch von roher Barbarei und geistiger Sehnsucht war nur eine
einzelne aus der Menge der orientalischen Religionen, ...
sich über das Römische Kaiserreich verbreiteten
..., daß sie allmählich das ganze Gebäude der antiken
Kultur untergruben. Die griechische und römische Gesellschaft war
auf dem Begriff der Unterordnung des einzelnen unter die Gesamtheit,
des Bürgers unter den Staat, aufgebaut. Sie stellte die Sicherheit
des Gemeinwesens als höchstes Ziel der Verwaltung über die Sicherheit
des einzelnen, ... All dies änderte sich mit der Verbreitung der
orientalischen Religionen, welche die Gemeinschaft der Seele mit
Gott und ihre ewige Rettung als die einzigen Ziele predigten, die das
Leben lebenswert machten, Ziele, vor denen das Wohl und selbst die
Existenz des Staates in Bedeutungslosigkeit versank. Die unvermeidliche
Folge dieser selbstsüchtigen und unmoralischen Lehre war, daß
der Gläubige mehr und mehr dem öffentlichen Dienst entzogen
wurde, ...

48   Die Zerstörung des römischen Ethos

... und ein Gefühl der Verachtung für das
gegenwärtige Leben in ihm großgezogen wurde, da er es nur als
Prüfungszeit für ein besseres, ewiges ansah.
... Die Bande des Staates und der Familie wurden gelockert, die
Gesellschaftsordnung drohte sich in ihre einzelnen Elemente auf -
zulösen und damit in die Barbarei zurückzufallen. 12  Frazer zählte zu
diesen orientalischen Religionen auch das Christentum.


Der kaiserliche Goldstandard stärkt die finanzielle Macht
des Ostens

Im Jahre 45 v. Chr. führte Cäsar im ganzen Imperium den Goldstandard
ein. ...

Im Mittelpunkt dieser »Reform« stand die Goldmünze aureus mit
einem Gewicht von 168 Gran und einem Wertverhältnis zu Silber von 1
: 9. In mehreren Schritten reduzierte Cäsar den aureus schnell auf
125 Gran Gold, um ihn dem alten Tempelwert eines Ochsen oder
einer Kuh anzunähern. Dadurch stieg das römische Wertverhältnis
zwischen Gold und Silber auf 1 : 12. Auf diesem Stand blieb es fast
1300 Jahre lang, bis zum Fall des Römischen bzw. Byzantinischen
Reiches im Jahre 1204.
...
Seit den Cäsaren war religiöse und monetäre Macht nicht mehr getrennt, ...

... Durch Anhebung des Wertverhältnisses auf 1 : 12 steigerte





                                2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   49


Cäsar außerdem willkürlich den Wert des Tempelgoldes im Verhältnis
zu Silber, dem weiter verbreiteten Münzgeld.
...
In den Westteilen des Imperiums geriet das Geldsystem schon sehr
früh ins Stocken. Mattingly konstatiert, daß die örtliche Münzprägung
im Westen die ersten hundert Jahre des Imperiums nicht überlebte
und daß hingegen der Osten große Mengen geprägter Münzen
besaß.

Rom hatte in kriegsbedingten Abständen Münzen geprägt. Nach
Mattingly stehen alle großen Kriege für große Münzgeldzuwächse.  ...13

Seit Augustus prägte Rom kontinuierlich Münzen und brachte sie
als Staatsausgaben und Sold in Zirkulation; Julius Cäsar hatte außerdem
die Verteilung von Münzen als Geschenke eingeführt, sozusagen
als Almosen.ds*)

Unter der Cäsarendiktatur ins Leben gerufen, erstarkte der römische
Goldstandard in den nachfolgenden dreihundert Jahren, die von
zunehmender Sklaverei und Ungerechtigkeit gekennzeichnet waren.


Edelmetalle fließen in den Osten ab

Kaum hatte sich Rom auf eine Gold- und Silberwährung festgelegt,
wurden diese Edelmetalle knapp. ... Rom begann mit der Einfuhr
femininer Waren, kostspieliger Gewürze und Parfüme aus dem Osten.
...

----------------------------------------------------------------------
ds*) vgl. Hartz IV Almosen in der Bundesrepublik.


50   Edelmetalle fließen in den Osten ab


Die Folge war ein stetiger Abbau der Edelmetallbestände. 14
...
Mit der Monetisierung von Gold übertrug
Rom den Goldbesitzern im Osten viel Macht. Eine der möglichen
Verwendungen ihrer riesigen Metallanhäufungen bestand in der Vergabe
von Darlehen über Mittelsmänner. ds*)
...
Besonders
in späteren Jahrhunderten hatte Rom wohl mit einer stetigen
Deflation und Geldknappheit zu kämpfen.

---------------------------------------------------------------------------
ds*)  Die Ostkredite aus China sollen heute Euro-Länder retten, die Überflutung des Westen mit den Chinawaren und Chinaramsch ist nichts neues. Das Wertvollste in Europa, die Technologie, wird nach China, Indien transferiert. 

 
                                        2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   51



Die Währungskrisen im späten dritten Jahrhundert

Von der Zeit Cäsars bis ins Jahr 250 war die Senkung des Münzmetallgehalts
im Jahresdurchschnitt geringfügig. Danach begann jedoch
für Roms vorherrschende Münzsysteme eine sehr problematische
Zeit ...

Es gibt nämlich auch Hinweise in eine
ganz andere Richtung: der Mißbrauch des Geldsystems durch die privaten
Prägestätten des römischen Geldes.

Gegen Ende des 3. Jahrhunderts zur festen Einrichtung geworden,
betrog der Stand der Geldpräger regelmäßig Rom, indem er Münzen
unter dem festgelegten Metallgehalt prägte ...  15

... niemand, der über monetäre Privilegien
verfügt, widerstandslos auf diese verzichtet, wenn er dazu aufgefordert
wird. ds*)

----------------------------------------------------------------------------
ds*)  So wie heute FED in USA.


52   Die Währungskrisen im späten dritten Jahrhundert


Das Imperium verlagert sich nach Osten

...  Aufgrund des Abflusses der Edelmetalle nach Osten übernahm
das Römische Reich faktisch das Goldgeldsystem des Ostens und richtete
sich immer mehr nach Osten aus.
...
Auch Trajan versuchte, gegen das
goldreiche Parthien zu Felde zu ziehen, wurde aber zwischen 115 und
117 von der jüdischen Revolte hinter seinen Kampflinien gestoppt.
...
Diokletian führte die Einjahresplanung des staatlichen Haushaltes
ein. ... »Der Kaiser beklagt vor allem ... die
allgegenwärtige, tobende Habgier, ein in seinem Wahnsinn grenzenloses
Verlangen, das einer Religion gleichkommt, und die hemmungslose
Leidenschaft für Plünderungen. ...« 16

                                            2 ROMS BRONZEGELD: BESSER ALS GOLD   53

 
Das Imperium bekennt sich zum Christentum

Im Jahre 324 erklärte Konstantin I. (der Große) das Christentum zur
Staatsreligion. ... Oberste religiöse Instanz ist der Kaiser selbst, ..
er das Konzil von Nizäa einberuft (325).

Die Reichshauptstadt zieht nach Byzanz

Im Jahre 331 schließlich verlegt Konstantin den Sitz des Imperiums
an die asiatische Grenze nach Byzanz,
...
Konstantin behält den (aus römischer Zeit stammenden) Titel
pontifex maximus und mit ihm das Recht, Münzen zu prägen. Dieses


54   Die Währungskrisen im späten dritten Jahrhundert


Recht, d. h. die Kontrolle über das Geldsystem, bleibt bis 1204, also
bis zur Eroberung Konstantinopels durch den vierten Kreuzzug,
beim oströmischen Kaiser. ...

Konstantin beschlagnahmte Gold von den Tempeln, um eine neue
Münze einzuführen, die berühmt werden sollte: der Solidus....
Über einen Zeitraum von
900 Jahren wurde der Solidus nur selten abgewertet und erfuhr nur
eine Münzverschlechterung. ... Außerdem war es unrechtmäßig,
die Annahme der Münzen zu verweigern; sie zu verändern
galt als Verbrechen, und auf Verunstaltung oder Einschmelzung zu
Barren stand sogar der Tod. 17
...
Ihren Höhepunkt fand die römische Geldtheorie im Codex Justinianus
aus dem 6. Jahrhundert.
...
monetäre Macht eine Konvention oder gesetzliche Einrichtung war,
über die entweder die Tempel oder die Regierung oder alle beide die
Kontrolle ausübten. Jetzt wissen wir also, warum sich Banken mit
griechischer Tempelarchitektur verkleiden. Doch woher stammt
eigentlich die Idee, das Geldsystem eines Staates in die Hand von Privatbanken
zu geben? Nun, jedenfalls nicht aus Griechenland oder
Rom.


                            3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   55



3 . Kapitel  Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

Es gab keinen »Untergang des Römischen Imperiums«.
                                                                                Hilaire Belloc

... Niedergangs des Römischen Imperiums, insbesondere Westroms, liegen zwei sehr alte und wichtige,
aber wenig bekannte monetäre Mechanismen zugrunde...


Erste Regel: Das »heilige« Vorrecht der Goldmünzenprägung

Über zwölf Jahrhunderte lang war die Goldprägung das ausschließliche
Vorrecht des obersten Souveräns, danach war sie dreihundert
Jahre lang ein vom römischen Kaiser als Pontifex maximus mit Argusaugen
bewachtes Privileg. Im Osten blieb dieses Vorrecht des imperators
bzw. des basileus beinahe weitere neunhundert Jahre in Kraft.
...

56   Erste Regel: Das »heilige« Vorrecht der Goldmünzenprägung


Hingegen durften lokale Herrscher Silbermünzen nach dem von
Julius Cäsar eingeführten römischen Wertverhältnis von 12 : 1 prägen.*
Del Mar zufolge blieb dieses Wertverhältnis bis 1204 in Kraft  4

Nicht einmal die Päpste wagten es nach ihrer Abspaltung vom
Oströmischen Reich unter Stephan II. (752-757), Goldmünzen zu
prägen. Dies änderte sich erst im Jahre 1204, als das Byzantinische
Reich im vierten Kreuzzug erobert wurde. Von diesem Zeitpunkt an
prägten lokale Herrscher überall in Europa Goldmünzen:


Europäische Goldmünzen nach dem Ende des Römischen Reiches
 
Zeitpunkt  Ort  Herrscher  Bezeichnung
der Münze
Gewicht
1225 Neapel
Friedrich II. Aureus 81-82 Gran
1225
1250
1252
1257
1284
1316
Lyon 
Paris  
Florenz 
England  
Venedig 
Avignon 
Alfonso
Ludwig IX.
Republik 
Heinrich III.
Republik 
Papst 
Johannes XXII.
Dukat
Ag' nel
Florin
Penny
Dukat
Sequin
54 Gran
63 Gran
56 Gran
43 Gran
56 Gran
54 Gran


-------------------------------------------------------
* Del Mar zeigte, daß die Forscher, die aus dem Codex Theodosianus ein Verhältnis von
14,4 :1 nachweisen wollten, die libra als Gewicht (anstatt als Zahlgeld) mißverstanden.



                                     3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   57



Zweite Regel: Die unterschiedlichen Gold-Silber-Wertverhältnisse in Ost- und Westrom

Für europäisches Silber erhielt man in Indien lange Zeit fast doppelt
so viel Gold als in Europa. Der Grund dafür war folgender Mechanismus:
Das Gold-Silber-Verhältnis im Westen wurde auf hohem Niveau
gehalten. (Es schwankte im Laufe der Jahrtausende zwischen
1: 9 und 1 : 16.) ... in Indien und Asien dagegen ... (in der Regel bei 1: 6 oder 1: 7).

Über Tausende von Jahren bedeutete diese Regel eine immense
Machtquelle für diejenigen, die sie kannten. ...
Die Gewinne, die Venedig aus dem Mechanismus zog, waren
eine Ursache der Renaissancebewegung. Jüdische Kaufleute, die ihre
Aktivitäten von Asien nach Europa verlegten, bedienten sich seiner
stillschweigend während Jahrhunderten. Kurz und gut, dieser Mechanismus
war eine der wesentlichen Triebkräfte des modernen Kapitalismus.

Westliche Kaufleute bekamen also beim Eintausch von Silber im
Osten 100% mehr Gold als im Westen.
...
Die Existenz und Bedeutung dieser Zweiteilung ist weitgehend unbekannt
und wird in Fachkreisen nur von wenigen, etwa von William
Jacobs 5 und Alexander Del Mar 6, erörtert.

Bereits Alexander der Große hatte diesen Mechanismus kontrolliert,
...

58   Zweite Regel: Unterschiedliche Gold-Silber-Wertverhältnisse in Ost- und Westrom


Mit der Eroberung von Ägypten im Jahre 48 v. Chr. und der Ablösung
der Ptolemäer-Herrschaft brachte Rom diesen entscheidenden
asiatischen Handel vollständig in seine Gewalt. Hundert Jahre später
schrieb Plinius, daß jedes Jahr 100 Millionen Silbersesterzen im Wert
von einer Million Goldaurei von Rom nach Indien und China ausgeführt
würden. ...


                                  3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   59


 
Die Zweiteilung hält Jahrtausende an

Dieses zweigeteilte Wertverhältnis wurde über Tausende von Jahren
beibehalten. Noch im Jahre 1625 setzte Japan das Verhältnis auf 6 : 1
fest, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß es in Europa viel höher
war (damals bei 15 : 1). ... John Locke wies darauf hin, daß die
britische Ostindische Kompanie diese Zweiteilung bis weit in das
18. Jahrhundert hinein zu ihrem Vorteil nutzte und damit dem englischen
Silbergeldsystem schadete. Locke nennt den Mechanismus
»eine zerstörerische Seuche, die den soliden Wohlstand des (britischen)
Weltreichs im indischen Ozean versenkt«. 9

... Die Kontrolle über Geld und Handel ... Im Osten waren es die Priester
von Brahma oder Buddha und im Westen die Priester von (der Reihe
nach) Cyrus, Darius, Tiglath, Nebu Nazaru, Osiris, Alexander, Ptolemäus
und der Cäsaren.

... die »geheime« Triebkraft hinter dem »heiligen
« Vorrecht der Goldmünzenprägung: Der byzantinische Herrscher
war bereit, zentral geprägte Goldsolidi gegen lokal geprägte
Silbermünzen in einem Verhältnis von 12 :1 umzutauschen. Für dasselbe
Silber erhielt er in Indien und anderen östlichen Gebieten Barrengold
in bis zu doppeltem Wert. Jede Störung dieses Mechanismus
traf die Machtposition des Basileus an der Wurzel.


Der Untergang des Römischen Reiches bleibt eine der größten Fragen der Geschichte

6o   Der Untergang des Römischen Reiches bleibt eine der größten Fragen der Geschichte

 
a) Schuldzuweisungen an das Christentum

... hatte Byzanz
wahrscheinlich mehr Einfluß auf das Christentum als die Kirche auf
Byzanz. 12


b) Schuldzuweisungen an die Barbaren

... Die Vorstellung, daß Rom nach wiederholten Angriffen von germanischen
Stämmen geschlagen wurde, hat Henri Pirenne in seinem
1936 erschienenen Klassiker Mahomet et Charlemagne widerlegt. ...

-------------------------------------------------------------
* Ähnlich wie Gibbon argumentiert Frazer, siehe unten Seite 47/48.


                            3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   61


c) Schuldzuweisungen an die Moslems

... Mohammed
wurde 570 geboren und starb 630. ...Gegen 709 hatten sie ganz Nordafrika
erobert. 711 fielen sie in Spanien ein, besetzten drei Jahre lang
die gesamte Halbinsel und regierten sie von Damaskus aus. Sie beherrschten
ein Gebiet, das von Indien bis zum Atlantik reichte.
... Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts war die Schiffahrt
zwischen den moslemischen Häfen im Ägäischen Meer und den
christlich gebliebenen Gebieten unmöglich. Die einzigen, die immer
noch am Handel beteiligt waren, waren die Juden. Sie waren
überall in großer Anzahl präsent und wurden von den Arabern
weder vertrieben noch niedergemetzelt. 16


Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom

Unter dem strengen, von Kaiser Konstantin im Juli 325 eingeführten
Goldsolidussystem ... wurde die Vor-


62   Eine monetäre Sicht des Unte rgangs von Rom


stellung von Geld als Ware sehr ernst genommen. Wann immer dies
in der Moderne der Fall war, bedeutete es Unglück – damals war es
die Mutter allen Unglücks.

... Todesstrafe für
Münzfälscher und den Scheiterhaufen für offizielle Münzpräger, die
sich einer Verfälschung bei der Münzprägung schuldig machten,
»denn das Verbrechen desjenigen, der es in seinem öffentlichen Amt
begeht, wiegt schwerer«. 17

... Der Goldsolidus (Abb. 11),
der bei seiner Einführung unter Konstantin 70 Gran (68 Gran Reingehalt)
wog, stand nach leichten Schwankungen im Jahre 1025 immer
noch bei 68 Gran.

Dabei nahmen zu jener Zeit die Metallbestände immer mehr ab.
... während knapp eines Jahrhunderts
imWesten keine Silbermünzen geprägt wurden. 19

... was im Laufe mehrerer Jahrhunderte
eine Deflation verursacht haben könnte. Darin wiederum
könnte eine der Hauptursachen für den Niedergang Roms liegen.


                            3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   63


Die Konzentration des Reichtums

... Die Kirche besaß schließlich ein Drittel bis die Hälfte
aller angehäuften Ländereien und Vermögenswerte des Reiches, einschließlich
der vorhandenen Münzen.
...
Wahrscheinlich fügte diese Konzentration dem Rest des Reiches,
besonders dem Westen, eine schwere, jahrhundertelange deflationäre
Krise zu. Handel und Industrie kamen zum Stillstand. Große
Segelschiffe verschwanden. Künste und Wissenschaften verschwanden
– sogar die Kunst der Zementherstellung geriet in Vergessenheit.

Das Fehlen einer gesetzlich verankerten monetären Macht im Westen
beeinträchtigte die Rechtsstaatlichkeit. Der Verfall des Rechtsstaats
beeinträchtigte wiederum die monetäre Macht, und so setzte
sich der Kreislauf fort.


64   Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom


... einer endlosen Krise, die erst mit dem einsetzenden Ende
der Deflation im ausgehenden 8. Jahrhundert überwunden wurde.
...

Geldwertstabilitätds*) kann auch übertrieben werden und sollte
daher nie mit ideologischer Verbissenheit angestrebt werden.


Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches

...
Die moslemische Münzprägung war zunächst eine Nachahmung
der Geldsysteme der eroberten Länder. Anfangs bestand das mos-

-------------------------------------------------------------------------------------
ds*) Die Geldwertstabilität ist auch der Hauptauftrag der Zentralbanken wie Bundesbank und EZB.


                    3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   65


lemische Silbergeld aus den Münzen des persischen Reiches. Goldmünzen
wurden in Damaskus unter byzantinischer Aufsicht mit römischem
Stempel geprägt – ein Zeichen für die eingeschränkte Souveränität
der Moslems.

Das änderte sich mit der Münzprägung von Abd-el-Malik. Sein
Golddinar wog 65 Gran und kam mit einem Feingehalt von 98% sehr
nahe an den Besant* heran. ... Die eigentliche Gefahr für den Basileus war
aber das Silber-Gold-Wertverhältnis. Denn Abd-el-Malik prägte
seine silbernen Dirhems** mit 43 Gran und einem Feingehalt von
96%, und da das Wertverhältnis von Dirhem zu Dinar 10 : 1 betrug,
etablierte er damit eine neue Silber-Gold-Relation von etwa 6,5 : 1.

Verwirrung um das moslemischeWertverhältnis

-------------------------------------------------------------
* Name des byzantinischen Solidus im Westen. (A. d. Ü.)
** Die Untereinheit des Gold-Dinars. (A. d. 0.)


66   Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches

 
... »Das Gesetz
des Propheten erhebt den Zehnten auf den Besitz von Edelmetallen
in Höhe von ... 200 Silber-Dirhems oder 20 Gold-Dinaren.«

Daraus ergibt sich ein Gold-Silber-Verhältnis von 7: 1.
...

Das Verständnis des Wertverhältnisses bringt Adam Smith' Theoriengebäude
zum Einsturz

... Historische Studien zeigen, daß Nationen und Reiche die Gold-Silber-
Wertverhältnisse tatsächlich auf der Grundlage der vorhandenen
Mengen festsetzten. Dabei hielten sie sich allerdings gerade nicht an
die Gesetze des »freien Marktes«. Ganz im Gegenteil: Bei der Festlegung
des Wertverhältnisses setzte eine starke Nation stets den Wert
des am reichlichsten vorhandenen Metalles herauf!

Als beispielsweise Cäsar an die Macht kam, nahmen die Goldbestände
aus neu eroberten Provinzen zu. Er setzte den Goldwert von
9: 1 auf 12 : 1 herauf.

Nachdem das moslemische Reich zwanzigmal mehr Silber als Gold
erbeutet hatte, setzten die Moslems das Wertverhältnis auf etwa 7 : 1
fest und erhöhten damit den relativen Wert des in größerer Menge
vorhandenen Silbers. ...

                            3 DER UNTERGANG ROMS AUS MONETÄRER SICHT   67

Die aristotelische Geldtradition der Moslems

Der Prophet Mohammed war in seiner Jugend Kaufmann gewesen
und kannte sich daher auf dem Gebiet des Handels aus. Höchstpersönlich
lehrte er seine Anhänger das gesetzliche und symbolische Wesen
des Geldes, eine Tatsache von größter Bedeutung für monetäre
Reformen in heutiger Zeit. Er brachte seinen Anhängern bei, »überbewertete«
Kupfermünzen genauso als eine Währung zu betrachten
wie Gold- und Silbermünzen. 24 Deshalb stehen diese monetären Vorstellungen
der Moslems ganz in der aristotelischen Geldtradition.
...
Spanische Gold- und Silberminen wurden von den Moslems mit
Sklavenarbeit ausgebeutet. Die moslemische Besetzung von Spanien
eröffnete der jüdischen Wanderungsbewegung von Asien nach Europa
einen Korridor, der Henri Pirenne zufolge die einzige überlebende
Wirtschaftsverbindung zwischen Islam und Christentum
und damit auch zwischen Ost und West darstellte. 25

Es gab jedoch noch eine weitere, entscheidende Ost-West-Verbindung:
Venedig.


                            4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   69



4. Kapitel  Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Die jahrhundertelang fortschreitende Zersetzung des
Rechts- und Geldsystems bewirkte in einem Kreislauf wechselseitiger
Steigerung einen allmählichen gesellschaftlichen Zerfall. ...

Geldsysteme auf der Grundlage von Edelmetallen konnten
zunächst nur etabliert werden, wenn entweder die Metalle durch Eroberungen
oder Plünderungen beschafft wurden oder wenn genügend
Sklaven zur Arbeit in den Minen gefangengenommen wurden.*

--------------------------------------------------------
* Plünderungen und Eroberungszüge blieben noch bis weit in das 17. und 18. Jahrhundert
hinein die Grundlage für monetäre Edelmetallsysteme. Moderne Geldsysteme aus
dem 19. und 20. Jahrhundert, die als Edelmetallsysteme gelten, gründeten sich oft mehr auf
Betrug als auf Gewalt, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.


70   Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen

 
Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Kart den Großen: ein »trügerisches Licht«*

Karl der Große (742-814) (Abb. 12) unternahm einen frühen Versuch,
das Geldsystem wieder aufzubauen. ... nur eine Wiederaufnahme
bestimmter römischer Münzprägetraditionen.


Pfund, Schilling und Pfennig

Die aus Livres, Sols und Denaren** bestehende karolingische Münzordnung
war dem römischen Codex Theodosianus zufolge mindestens
seit 418 in Kraft.1

-----------------------------------------------------
* Mit diesem Ausdruck beschreibt Peter Spufford die monetäre Entwicklung zur Zeit
Karls des Großen. Spuffords 1988 erschienenes Buch Money and its use in medieval
Europe gab das erste umfassende Bild der Metall- und Geldströme im Mittelalter.


** Livres = Pfund, Sols = Schilling und Denaren = Pfennig. (A. d. Ü.)


                          4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   71



Eroberung und Sklaverei

Das Reich Karls des Großen gründete sich auf militärische Eroberungszüge
und die Versklavung der unterworfenen Völker, vor allem
der Sachsen. Dieses riesige Sklavenheer setzte Karl der Große zur
Wiederaufnahme oder Intensivierung der Edelmetallproduktion,
hauptsächlich von Silber in Chemnitz, Kremitz und Rauthensberg,
ein. Diejenigen Gefangenen, die sich nicht in den Minen zu Tode
schuften mußten, wurden über jüdische oder venezianische Sklavenhändler
an Moslems verkauft.


Der Silberpfennig

Karl der Große gründete in Dorestad, Aachen, Bonn, Köln, Maastricht
und Namur neue Münzstätten, um Pfennige zu prägen.

... Münzgeld weiterhin ein knappes Gut war. 2


Der machtpolitische Balanceakt Karls des Großen

Als Folge der moslemischen Revolte von 630 verlor das Römisch-Byzantinische
Reich zunächst die afrikanischen Provinzen und später
auch Spanien. Die Moslems übernahmen die Kontrolle über den bedeutenden
Ost-West-Handel. In den Jahren 726-754 spaltete sich der


72   Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen


Bischof von Rom von der byzantinischen Vorherrschaft ab. Einer der
Auslöser für die Trennung war der im Jahre 730 von Kaiser Leo III.
im sogenannten »Bilderstreit« erteilte Befehl, alle Bilder aus den Kirchen
zu entfernen.

Diese beiden Faktoren und die große Entfernung bescherten Karl
dem Großen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von Byzanz. *
...
Mit der sogenannten donatio Constantini (der konstantinischen
Schenkung) — einem gefälschten Dokument, nach dem Konstantin
der Große angeblich dem Bischof von Rom im 4. Jahrhundert den
Thron über den Westen übertragen hatte — erhob der Papst den Anspruch,
der religiöse Herrscher über den Westen zu sein. ... Nach
Ansicht Del Mars gab Hadrian im Jahre 772 als Vasall Karls des
Großen in dessen Namen Münzen aus. 3
...

-------------------------------------------------------------
* »Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, daß der gesamte Strom der Geschichte
von Klerikern verfälscht wurde ... Jeder Historiker ist auf diese Verzerrungen gestoßen
und hat sie entweder unerschrocken oder zaghaft verurteilt. Und doch gibt es immer
wieder neue Generationen unbelesener Menschen, denen man diese Entdeckungen
und Verurteilungen stets von neuem darlegen und wiederholen muß.« (Del Mar,
Middle Ages, 204)



                            4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN 73


War der Basileus damals noch die dominierende Macht imWesten?

... Karl der
Große setzte dieses Münzsystem mit einem Silber-Gold-Wertverhältnis
von etwa 10 :1 fort. Um 803 schloß er mit dem byzantinischen
Kaiser Nikephoros I. den verlorengegangenen Vertrag von Seltz: »Er
schloß mit ihnen einen in höchstem Maße verbindlichen Vertrag, der
möglichst keine Differenzen mehr zwischen ihnen zuließ.« 4
...
In dieser Zeit hob Karl der Große das Gewicht seiner Silberwährung
an, um es dem byzantinischen Silber-Gold-Wertverhältnis von
12 : 1 anzugleichen. Die neuen Pfennige wogen 17,5 Gran Silber, jeweils
12 Pfennige bildeten einen byzantinischen Goldschilling mit
einem Goldgehalt von 17,5 Gran, ...5
...
Wahrscheinlich erlangte Karl der Große keine vollständige Unabhängigkeit
von Byzanz, jedenfalls dann nicht, wenn man diese am
Vorrecht der Goldmünzenprägung mißt, einem der wesentlichen
Souveränitätsmerkmale der damaligen Zeit.
...

74   Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen


 Im Norden wurden Silbermünzen erst wieder
ab 990 für kurze Zeit geprägt, nachdem man im Harzgebirge Silbervorkommen
entdeckt hatte.


Der Mechanismus der unterschiedlichen Wertverhältnisse belastet das Geldsystem Karls des Großen

Der alte Mechanismus der unterschiedlichen Silber-Gold-Wertverhältnisse
in Ost und West übte weiterhin Druck ... mehr europäisches Silbergeld in
Indien landete.


Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig

Venedig erkannte sich selbst als eine wunderbare, geheimnisvolle
Schöpfung, in der noch etwas anderes als Menschenwitz von jeher
wirksam gewesen.
                                                                                       Jacob Burckhardt  7

Während der Mechanismus der unterschiedlichen Wertverhältnisse
Karl den Großen benachteiligte, gelang es Venedig, diesen Mechanismus
zu seinem Vorteil zu nutzen und sich dadurch zwischen 800 und
1500 eine wirtschaftliche Vormachtstellung im Westen aufzubauen.
Damit legte Venedig den Grundstein für die Wiederbelebung des Westens.

Venedigs einzigartige Ursprünge

Die Abstammung der Venezianer ist nach wie vor ungeklärt. Vielleicht
waren sie Migranten von der Südküste des Schwarzen Meeres.
...


                        4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   75


... 697 wurde Venedig eine
Republik mit einer Verfassung, die 500 Jahre lang gelten sollte. Frederick
Chapin Lane bezeichnet Venedig als die »erste kapitalistische
Gesellschaft«.
...
Die Grundeinheit des Handels bildeten staatlich regulierte Familienpartnerschaften.
Später, als sich Kapital ansammelte, verbreitete
sich in Venedig eine von den Moslems entlehnte Partnerschaftsform,
bei welcher der aktive Teilhaber zur See fuhr und der passive Teilhaber
zu Hause blieb (die sogenannte colleganza). Während die Gewinne
geteilt wurden, waren die Verluste von dem passiven Teilhaber
alleine zu tragen.


Der Indienhandel durch den ägyptischen Kanal von Arsinoe

Rom wickelte seinen Handel mit dem Orient sowohl über Land als
auch über den Persischen Golf durch den vielleicht schon unter
Pharao Ramses II. gebauten Kanal bei Suez (Arsinoe) ab.
...
Venedig sicherte sich seinen Anteil
am niedrigen asiatischen Gold-Silber-Wertverhältnis in Indien durch


76   Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig

 
den Handel mit den Moslems in Alexandria. 

Venedig nutzte den Mechanismus der in Ost und West unterschiedlichen Wertverhältnisse aus

...
Die Kraft, die jahrhundertelang Europas Silberwährungen belastete,
brachte nun Venedig direkte Vorteile. Dabei sollte man den
autonomen Charakter des Unterschiedes im Gold-Silber-Wertverhältnis
zwischen Ost und West nicht vergessen.
...

Die venezianische Flotte


                                4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN 77


Venedigs Bemühungen um kirchliche Eigenständigkeit

Der venezianische Doge war ursprünglich ein von Byzanz bestellter
und bezahlter politischer Beamter, der aber lokal gewählt wurde. In
religiöser Hinsicht versuchte der Basileus, Venedig dem Patriarchen
von Aquila zu unterwerfen. Venedig brauchte triftige Gründe, damit
es seine eigenen religiösen Einrichtungen behalten konnte, und fand
sie in dem in Alexandria beigesetzten Leichnam des heiligen Markus.
...

Die unentschlossenen Kreuzfahrer

... Vom Erfolg des Kreuzzuges überrascht, entschied
sich Venedig aber später doch noch zur Teilnahme, weil es sich
von einem siegreichen Ausgang die Gründung eines Landweges nach
Osten erhoffte ...


78   Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig


 
Angriff auf Konstantinopel
...
Als die Venezianier 1204 erfuhren, daß Byzanz mit Genua verhandelte,
um Venedig als Haupthandelspartner zu ersetzen, schlossen sie
sich dem Vorhaben an, den vierten Kreuzzug in einen Angriff auf
Konstantinopel umzulenken. ...

Venedigs Geldsysteme

...
Venedig prägte erstmals eigene Münzen zwischen 1172 und 1178,
einige Jahre nach der Erschließung reicher Silberminen im sächsi-


                    4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   79

 
schen Freiberg. Der Doge Zianni prägte Denare mit einem Silbergehalt
von einem Zehntel Gran ...

Silber wurde für alle staatlichen Transaktionen und für den lokalen
Handel verwendet. ...

Der Silbergrosso

Byzanz wurde im Jahre 1204 unter die Siegermächte aufgeteilt. Alsbald
prägte der blinde Doge Enrico Dandolo, der im Alter von 90 Jahren
den Angriff angeführt hatte, mit dem venezianischen Beuteanteil
den Silbergrosso (Abb. 17). ...

Um der Abnutzung der bereits umlaufenden Denare Rechnung zu
tragen, prägte Venedig den Grosso mit einem Gewicht, das 2% unter
dem Vergleichswert des Denars lag. ...
 
Es war also ein Mittel zur Bekämpfung genau desjenigen Phänomens,
das erst 300 Jahre später als Greshamsches Gesetz beschrieben
wurde. *
...

----------------------------------------------------------
* Die Regel, daß schlechtes Geld gutes Geld verdrängt.


8o   Venedigs Geldsysteme


Venedigs Politik der Münzprägung

Venedigs Münzstätte war im Besitz der Republik. Es wurden angemessene
Prägegebühren von etwa 8% erhoben, und sämtliche Gewinne
gehörten der Republik. Die Münzstätte wurde von offiziellen
Bediensteten verwaltet, deren kurze Amtszeit die Möglichkeit einer
sofortigen Wiederernennung ausschloß.  ...

Das flexible Wertverhältnis

... Zwischen 1250 und 1360, so schildert
Lane, stieg das Wertverhältnis in Venedig von 8,5 : 1 auf 14,2 : 1 und
fiel danach wieder auf 9,6 : 1.11 ...


     4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   81

 
Venedigs Goldwährung

1284 prägte Venedig unter dem Dogen Giovanni Dandolo seine erste
Goldmünze, den Dukaten. Er wog 56 Gran und sollte die Tradition
des Solidus fortführen. ...


82   Venedigs Geldsysteme


Ausschluß der Juden

Venedig verfolgte ebenso wie andere italienische Republiken eine rigorose
Politik des Judenausschlusses. ... mußten Juden
in Venedig ab 1394 eine Zeitlang gelbe Kopfbedeckungen tragen.13

Im Hinblick auf Wucher gingen die Venezianer davon aus, daß
man nur dann das Recht hatte, von einem Handelsvertrag zurückzutreten,
wenn man mit mehreren Risiken konfrontiert war und der
Ausgang der Angelegenheit ungewiß war. Diese allgemeine Haltung
gegenüber dem Wucher förderte den Kapitalzufluß in den Handel
und hemmte den Geldverleih in den Pfandhäusern. Sie stimmte damit
mit der moslemischen Sichtweise überein und nahm die Meinung
der christlichen Scholastik vorweg.


Der Münzbetrug trifft Venedig


84   Venedigs Geldsysteme


Venedig stört die monetäre Erholung in Europa

Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts sank allgemein der Goldwert im
Verhältnis zum Silber. Die Ursache hierfür war eine historische Entwicklung,
die Lane als »Wendepunkt« in der europäischen Geldgeschichte
... Dieser Zeitpunkt stand vermutlich in Zusammenhang
mit der Unterdrückung der Templer im Jahre 1307 und dem Zusammenbruch
der umfassenden, während der Kreuzzüge aufgebauten
Handelsbeziehungen zwischen dem Templerorden und der Levante.

... um 1360-1370 fiel das
Wertverhältnis in Venedig und Florenz auf 9,6 : 1.

Ab diesem Zeitpunkt, so ist bei Spufford zu lesen, taucht Gold erstmals
in größeren Mengen in Nordeuropa auf.

Venedig führte riesige Silbermengen nach Asien aus: 13 200 000
Silbergrossi jährlich, also etwa 20 000 Tonnen. Europas Silbergeldbestand
war bald erschöpft. Am Ende des 14. Jahrhunderts hatte die
Silberknappheit ein bedrohliches Ausmaß erreicht.16  Die monetäre
Krise eskalierte in der Mitte des 15. Jahrhunderts. ...


                 4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   85


Venedig führt vorsichtig Nominalgeld ein

Während der Belagerung von Tyrus im Jahre 1122 ging dem Dogen
Michiel das Geld zur Bezahlung seiner Soldaten aus. Deshalb bezahlte
er sie mit Geld aus geprägtem Leder, das bei der Rückkehr der Flotte
nach Venedig wieder eingelöst wurde.

... erst 1353 wurde
in Venedig mit der Prägung des Tornesello unter Andrea Dandolo
Nominalgeld eingeführt. ... aus einer Kupfer-Silber-Mischung.
...

86   Venedig führt vorsichtig Nominalgeld ein


Ab etwa 1450 kamen in Venedig Prägemaschinen in Gebrauch.
Schaffte ein Münzarbeiter bisher 40 bis 50 Münzen pro Tag, so konnten
nun in derselben Zeit Tausende hergestellt werden.


Die venezianischen Imprestidi: eine Form der Staatsfinanzierung

... 1173 war die Staatskasse
wieder leer. Der Doge Ziani führte deshalb eine von allen Haushalten
verbindlich zu leistende Anleihe im Wert von 1% des gesamten Haushaltsbesitzes
ein. Diese als imprestidi bezeichneten Zwangsanleihen
wurden mit 4% verzinst. ...

                4 DIE WIEDEREINFÜHRUNG VON GELD IM WESTEN   87


Das Fehlen einer Staatsbank in Venedig war kein Zufall, sondern
Absicht. Bereits im 14. Jahrhundert wurde die Gründung einer
Depositenbank diskutiert, aber schließlich abgelehnt. ...

Im Jahre 1587 wurde die camera degli imprestidi schließlich in eine
Depositen- oder Girobank umgewandelt. Sie war Europas erste
Depositenbank  ...


88   Die venezianischen Imprestidi: eine Form der Staatsfinanzierung


Venedigs Abstieg

In diesem Zeitraum deutete sich bereits Venedigs Machtverlust und
der Aufstieg Portugals und Antwerpens an. 1503 wurde mit der
Heimkehr der ersten portugiesischen Schiffsladungen die Kaproute
nach Indien eröffnet. Dies war das Ende der venezianischen Herrschaft
über den Ost-West-Handel und über den Mechanismus der
Wertverhältnisse. ...

Das Jahr 1500 steht außerdem auch für das Ende des hundertjährigen
Kampfes gegen den Bankkredit, der in Nordeuropa von der
Hanse und den Herzögen von Burgund geführt wurde. ...




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